MiR: Mobile Roboter in der Landmaschinenherstellung
Ob Sämaschinen, Traktoren oder Düngerstreuer – in der Agrartechnik geht es meist um richtig große Maschinen. Doch hinter den Kulissen spielen auch kleine Maschinen eine große Rolle: Autonome mobile Roboter helfen Landmaschinenherstellern, ihre Produktion flexibler zu gestalten. So können Unternehmen agiler auf wechselnde Aufträge reagieren und ihre Mitarbeiter von zeitintensiven Transportgängen entlasten.
Der digitale Wandel pflügt auch den Agrarsektor kräftig um. Die Technologien des Smart Farming bieten vielfältige Optimierungspotenziale, sei es durch teilflächenspezifische Düngung, autonome Stalltechnik oder die intelligente Berechnung von Fütterungsrationen. Moderne Traktoren, Dünge- oder Saatmaschinen arbeiten hochgradig automatisiert und bringen mittels satellitengesteuerter Navigations- und Kartierungssysteme optimal abgestimmte Mengen aus. So sparen Landwirte Zeit und Geld. Doch nicht nur auf Äckern und in Ställen, auch in der Landtechnikindustrie lassen sich Abläufe gewinnbringend automatisieren.
Maschinen immer variantenreicher
Als Sonderform des Fahrzeugbaus steht die Landmaschinenherstellung vor den typischen Herausforderungen der fertigenden Industrie: Zum einen gestalten sich die bestellten Maschinen immer variantenreicher. Daraus resultieren kleine Losgrößen, im Extremfall läuft jeder Traktor als Sonderanfertigung vom Band. Hersteller müssen daher zahlreiche unterschiedliche Teile produzieren, bearbeiten und verbauen. Zum anderen verschärft sich der Wettbewerb in der technologisch hochentwickelten Branche. Landwirtschaftliche Betriebe sehen sich einem starken Konkurrenz- und Kostendruck ausgesetzt und müssen zugleich strikte Umweltstandards erfüllen. Entsprechend steigen die Ansprüche an eingesetzte Landmaschinen. Deren Hersteller sind gezwungen, in kurzer Zeit immer ausgefeiltere Produkte auf den Markt zu bringen.
Intralogistik als wirtschaftlich relevanter Prozess
Viele Firmen automatisieren daher monotone Schritte im Fertigungsprozess, um Abläufe effizienter zu gestalten und Freiraum für die Umsetzung von Neuerungen zu schaffen. Ein Bereich, der im Zuge solcher Automatisierungsvorhaben oft vergessen wird, ist die Intralogistik. Bei vielen Landmaschinenherstellern transportieren bemannte Routenzüge und Gabelstapler das Material von A nach B. Auch spurgebundene FTS kommen zum Einsatz. Gerade die steigende Variantenvielfalt erfordert jedoch flexiblere Lösungen für den internen Materialfluss, denn Routen und zu transportierende Güter verändern sich schnell. Hier kommen autonome mobile Roboter ins Spiel. Diese vierrädrigen Vehikel mögen zunächst vom klassischen Roboterbild abweichen, doch sie sind wahre High-Tech-Geräte: Mittels Sensorik, Sensortechnologie und Software navigieren sie völlig autonom.
Vor dem ersten Einsatz fahren die Roboter ihre Umgebung ab und kartieren sie. Alternativ lassen sie sich auch mit einer CAD-Datei des Werks bespielen, in dem sie sich anschließend selbständig zurechtfinden. Gibt der Anwender ihnen einen neuen Auftrag, berechnen sie den schnellsten Weg zum Ziel. Im Gegensatz zu spurgebundenen FTS müssen hierfür keine Schienen oder Magnetstreifen im Boden eingelassen werden. Ist eine Route blockiert, umfahren die Roboter das Hindernis und suchen einen alternativen Weg. Dank spezieller Sicherheitsfunktionen können die Roboter sich dabei problemlos und unfallfrei zwischen Menschen bewegen. So sind sie eine ideale Intralogistik-Lösung für Fertigungsbetriebe, die mit ständig wechselnden Aufträgen zu tun haben.
Ein Roboter, zahlreiche Einsatzmöglichkeiten
Mithilfe verschiedener Aufsätze können mobile Roboter diverse Aufgaben erledigen. Ein autonomer Helfer, der morgens noch KLT-Boxen mit Schrauben an eine Montagelinie gefahren hat, kann am Nachmittag Paletten mit Traktortüren in die Lackiererei verfrachten oder in Regalaufsätzen kleinteilige Werkstücke zwischen den Verarbeitungsschritten transportieren. Außerdem lassen sich die Roboter mit Rollenförderern bestücken, über die sie beispielsweise Kisten oder Paletten von stationären Förderbändern aufnehmen können. Zudem ist die Installation eines kollaborierenden Roboterarms möglich, der etwa Teile kommissionieren oder sortieren kann. Der mobile Roboter fungiert dann als fahrbarer Untersatz und erweitert den Aktionsradius der Applikation. Solche Anwendungsbeispiele gehen bereits einen großen Schritt in Richtung Vollautomatisierung, bei der der Mensch den Prozess nur noch überwachend steuert.
Die funktionale Vielfalt erlaubt Landmaschinenherstellern, ihre Prozesse flexibler zu gestalten und kurzfristige Kundenaufträge schnell zu bedienen. Der zuständige Mitarbeiter kann einen Roboter per Knopfdruck rufen, wenn er neues Material benötigt oder Abfälle abzuholen sind. Dies kann er über eine webbasierte Bedienoberfläche tun, die per Handy, Tablet oder PC erreichbar ist. Der Roboter fährt dann eigenständig zur betreffenden Fertigungslinie, um den erteilten Auftrag zu erfüllen. Damit ist auch eine Just-in-Time-Belieferung möglich. Zu hohe Materialbestände an den Fertigungslinien kosten nicht nur wertvollen Platz. Sie stellen letztendlich auch eine potenzielle Gefahrenquelle dar, die sich durch den Einsatz von Transportrobotern vermeiden lässt.
Roboter entlasten Mitarbeiter
Das Einsatzpotenzial der Roboter beschränkt sich dabei jedoch nicht darauf, Produktions- oder Montagelinien mit Material zu beliefern. Auch im Bereich der Fertigungsmittel- und C-Teile-Versorgung können die mobilen Helfer unterstützen. In vielen Betrieben ist es beispielsweise noch Aufgabe der Mitarbeiter, Messmittel und Werkzeuge per pedes in den Messbereich zu bringen, da diese oft an einem separaten Ort gelagert werden. Dies gilt auch für die ansonsten bereits hochautomatisierten Zerspanungsprozesse.
Doch Landmaschinen sind groß, entsprechend gilt das auch für ihre Unterbaugruppen. So fallen in der Fertigung schnell 100 bis 200 Meter Wegstrecke zwischen den einzelnen Bearbeitungspunkten an, an denen die Werkzeuge benötigt werden. Schon allein durch den Weg von A nach B verlieren Mitarbeiter Zeit, die sie anderweitig sinnvoller einsetzen könnten – zumal es sich meist um hochqualifizierte Fachkräfte handelt, deren Expertise stark nachgefragt ist. Übernimmt ein mobiler Roboter den Transport, erspart er den Mitarbeitern Laufwege oder die Fahrt mit dem Gabelstapler oder bemannten Routenzug. Zugleich entlastet er sie von unergonomischen Handgriffen, wie dem Heben, Tragen und Ablegen schwerer Teile. Auch die Reduktion des unfallanfälligen Gabelstaplerverkehrs trägt zur Arbeitssicherheit bei.
Kverneland: MiR500 automatisiert Palettentransport
Ein Landmaschinenhersteller, der seinen internen Materialfluss erfolgreich automatisiert hat, ist Kverneland. Das norwegische Traditionsunternehmen nutzt das Robotermodell MiR500 von Mobile Industrial Robots. Am dänischen Produktionsstandort in Kerteminde nimmt der MiR500 Mitarbeitern zeitintensive Fahrten mit dem Gabelstapler ab. Eigenständig fährt er Paletten mit wärmebehandelten Teilen zum Lackieren und wieder zurück. Dafür ist er mit einer Hebevorrichtung ausgestattet, mit deren Hilfe er Paletten von stationären Regalinstallationen aufnehmen und wieder darauf abladen kann. Während der Roboter jeden Tag bis zu 48 km Strecke zurücklegt, können sich die Mitarbeiter ihren eigentlichen Aufgaben in der Fertigung widmen.
Robotermodelle wie der MiR500 und die – jeweils nach ihrer Traglast in Kilogramm benannten – Modell MiR250 und MiR1000 sind besonders robust gebaut. Sie kommen mit Unebenheiten im Boden zurecht, können Rampen bewältigen und durch Pfützen fahren. Damit eignen sie sich gut für den Einsatz in industriellen Produktionsumfeldern. Die tragfähigeren Modelle befördern auch schwere Blechteile problemlos.
Mobile Desinfektionslösung
Vor dem Hintergrund des anhaltenden Pandemiegeschehens offenbaren die Roboter einen zusätzlichen Nutzen: Ausgestattet mit einem Aufsatz, der mittels UVC-Strahlung oder einem Zerstäuber desinfiziert, halten mobile Roboter Produktionsumgebungen virenfrei. Denkbar ist auch eine zweigeteilte Nutzung: Die Hälfte des Tages oder in der Nacht übernimmt der Roboter die Raumdesinfektion, in der übrigen Zeit unterstützt er in der Fertigung. Diese Doppelfunktion kann einen guten Einstieg in die Automatisierung der Intralogistik bieten.
Schon in der Vergangenheit hat sich die Landtechnik vielfach durch technische Pionierleistungen hervorgetan. Mithilfe mobiler Robotik gelingt Agrartechnikherstellern weiterer Fortschritt: Von einer automatisierten Intralogistik profitieren sowohl Mitarbeiter als auch Unternehmen.